Re: Hoffnung

From: Oliver Fromme <olli(at)lurza.secnetix.de>
Date: Fri, 10 Feb 2006 12:07:46 +0100 (CET)

Alvar Freude <alvar(at)a-blast.org> wrote:
> Oliver Fromme <olli(at)lurza.secnetix.de> wrote:
>
> > Wenn es nicht out-of-the box klappt, hilft einem auch das
> > schönste GUI nichts. Wie heißt es so schön: A GUI makes
> > simple tasks easier, and complex tasks impossible.
>
> das ist schlicht falsch und kommt auf das GUI und das dazu alternative
> Interface an.

Vielleicht, aber existiert bisher kein entsprechendes GUI.

Für alle GUIs, die ich bisher kennengelernt habe, gilt im
wesentlichen obiger Satz. Bestes Beispiel ist der Datei-
Such-Dialog von Windows: _Simple_ Suchanfragen sind damit
einfach zu realisieren, z.B. wenn ich den Namen der Datei
kenne, die ich suche. Aber sobald es komplizierter wird,
leistet der Dialog das einfach nicht. Da muß man zu einem
Kommandozeilentool wie find(1) greifen. Klar, theoretisch
könnte man alle Features von find(1) in so einen graphi-
schen Dialog einbauen, aber der wird dann so unübersicht-
lich, komplex und aufwndig zu bedienen, daß man sich das
nicht wirklich antun möchte.

Klar, man muß erstmal die manpage lesen, zumindest Teile
davon. Aber wenn man das einmal getan hat, arbeitet man
mit dem Tool für alle Zeit effizienter als mit einem GUI.
Die fünf Minuten, die das Lesen von Doku kostet, holt man
locker wieder heraus.

Um's auch mal provokant zu sagen: GUIs sind für Analpha-
beten. ;-)

Wo wir gerade bei Windows sind: Microsoft hat sich ja
eigentlich auf die Fahnen geschrieben, ergonomische und
einfach zu verwendende Software zu schreiben. Davon sind
sie _weit_ entfernt. Nichtmal einfachste Dinge werden
berücksichtigt, z.B. daß ein Dialog sich an derselben
Stelle öffnet, an der man ihn zuletzt geschlossen hat,
oder daß ein Scrollbalken persistent bleibt (das konnte
AmigaOS vor 20 Jahren besser).

> Kommandozeileninterfaces sind für den Entwickler einfacher zu erstellen
> als ein (gutes) GUI. (mit MS Visual Studio etc mag sich das schon
> relativieren)

Ich habe mich vor einigen Jahren mal ziemlich intensiv mit
Borland Delphi beschäftig (den Nachfolger gibt's ja seit
einiger Zeit auch für Linux). Damit war das Erstellen von
graphischen Oberflächen wirklich einfach, und man konnte
sich ganz auf das Design konzentrieren. Ein sinnvolles
Design zu planen nimmt einem natürlich keine Software ab,
aber das gleiche gilt auch für Kommandozeilentools, wo man
sich Gedanken um sinnvolle Optionen, Syntax für Konfigura-
tionsdateien, Verwendung von Umgebungsvariablen usw. machen
muß. Ergonomie betrifft jede Software, egal ob Textmodus
oder GUI.

Da liegt leider auch bei UNIX einiges im Argen, teilweise
historisch bedingt.

> Dein ifconfig-Beispiel von letztens:
> Mittels ifconfig geht es einfacher und schneller als mit dem
> Windows-Geklickere. Wenn man den Befehl kennt.
>
> Aber jemand der sich top mit Netzwerken auskennt und zum Beispiel für
> irgendwelche Embedded-Geräte einen IP-Stack geschrieben hat, aber keinen
> blassen Schimmer von Unix hat, wird eben nicht auf ifconfig kommen.

Ich behaupte mal, daß so eine Person nicht existiert. Wer
einen IP-Stack geschrieben hat, wird sich zwangsläufig auch
mit den IP-Stacks auf anderen Systemen auseinandergesetzt
haben, und sei es nur um die Interoperabilität zu testen.

> Ein GUI hilft, da kann man deutlich einfacher drin herumsuchen.

Ich kenne die Windows-Dialoge, die mit Netzwerk zu tun
haben. Darin suchen kann man eigentlich nicht besonders
gut. Man kann höchstens ausprobieren, auf alle mögli-
chen Buttons zu drücken (»erweiterte Einstellungen«), um
dann zu staunen, wo sich welche Dinge verbergen -- sofern
sie überhaupt vorhanden sind (such z.B. mal, wo man die
MTU einstellen kann). Das ist eine höchst ineffiziente
Arbeitsweise. In der Zeit, wo ich mich durch ein Dutzend
unbekannte Dialoge kämpfe, habe ich die ifconfig(8)-
manpage zweimal durchgelesen.

Und wie gesagt: Wer ein UNIX-System nutzt und nicht einmal
die Befehle "man" und "apropos" kennt, dem ist eh nicht zu
helfen. Der sollte entweder kein UNIX benutzen, oder sich
von seiner Lernresistenz kurieren lassen.

> Für Dich ist es wahrscheinlich einfacher mit der Shell umzugehen als mit
> einem GUI. Weil Du damit umgehen kannst und entsprechendes Vorwissen
> hast. Bei anderen Nutzern ist das anders.

Man muß halt lernen. Ob ich in einem GUI in der Online-
Hilfe lese oder bei einem Kommandozeilentool in der Man-
page, ergibt keinen substantiellen Unterschied.

> > Mal ganz ehrlich: Wer mit einem »Procedere auf der Shell«
> > überfordert ist und auch nicht bereit ist, es zu lernen,
> > für den ist ein UNIX-System nicht das richtige.
>
> Es gibt Millionen von Nutzern, die nicht bereit sind mit der Shell zu
> arbeiten und trotzdem ein UNIX-System nutzen: OS X.

Falsch. Diese Leute nutzen kein UNIX-System. Sie nutzen
eine graphische Oberfläche. Ob darunter ein UNIX-System
oder irgendwas anderes läuft, ist völlig unerheblich und
interessiert diese Leute auch nicht. Ich vermute, viele
wissen es nicht einmal. Die meisten Leute, die OS X ver-
wenden, tun dies, weil sie einen Mac mit MacOS haben wol-
len (vielleicht auch, weil sie früher schon ältere MacOS-
Versionen hatten).

Wer sich bewußt ein UNIX-System installiert, hat dagegen
ganz andere Beweggründe und will es i.allg. auch als sol-
ches nutzen, bzw. er hat in vielen Fällen gar keine andere
Wahl, weil das GUI halt nicht allmächtig ist.

Gruß
   Olli

-- 
Oliver Fromme,  secnetix GmbH & Co. KG, Marktplatz 29, 85567 Grafing
Dienstleistungen mit Schwerpunkt FreeBSD: http://www.secnetix.de/bsd
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"I have stopped reading Stephen King novels.
Now I just read C code instead."
        -- Richard A. O'Keefe
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Received on Fri 10 Feb 2006 - 12:10:11 CET

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