Re: Hoffnung

From: Alvar Freude <alvar(at)a-blast.org>
Date: Fri, 10 Feb 2006 13:13:53 +0100

Hi,

-- Oliver Fromme <olli(at)lurza.secnetix.de> wrote:

> Alvar Freude <alvar(at)a-blast.org> wrote:
> > Oliver Fromme <olli(at)lurza.secnetix.de> wrote:
> >
> > > Wenn es nicht out-of-the box klappt, hilft einem auch das
> > > schönste GUI nichts. Wie heißt es so schön: A GUI makes
> > > simple tasks easier, and complex tasks impossible.
> >
> > das ist schlicht falsch und kommt auf das GUI und das dazu
> alternative > Interface an.
>
> Vielleicht, aber existiert bisher kein entsprechendes GUI.

Bei Windows gibt es de fakto keine Shell. Zumindest kann man dieses Ding
nicht guten Gewissens so bezeichnen. Aber komplexe Aufgaben sind da nicht
unmöglich.

(Achduschreck, jetzt ist es sogar so weit gekommen dass ICH Windows
verdeidige! ;-) )

> Für alle GUIs, die ich bisher kennengelernt habe, gilt im
> wesentlichen obiger Satz. Bestes Beispiel ist der Datei-
> Such-Dialog von Windows: _Simple_ Suchanfragen sind damit
> einfach zu realisieren, z.B. wenn ich den Namen der Datei
> kenne, die ich suche. Aber sobald es komplizierter wird,
> leistet der Dialog das einfach nicht. Da muß man zu einem
> Kommandozeilentool wie find(1) greifen.

das liegt aber nicht rein prinzipiell daran, dass ein GUI das nicht
leisten kann, sondern schlicht daran, dass dieser Dialog das nicht kann.

> Klar, theoretisch
> könnte man alle Features von find(1) in so einen graphi-
> schen Dialog einbauen, aber der wird dann so unübersicht-
> lich, komplex und aufwndig zu bedienen, daß man sich das
> nicht wirklich antun möchte.

das ließe sich problemlos in einen übersichtlichen Dialog packen. Ich
habe da schon viel komplexere Dinger gesehen ;-)

Aber: um find zu beherrschen, muss ich sehr viel *wissen*. Ich kann nicht
das Ding anwenden und jedes mal eine weitere Option nebenher (!)
auffinden, die ich nutzen kann, sondern ich muss jedesmal die Anleitung
lesen.
Niemand ließt gerne Anleitungen.

find zum Beispiel ist mir i.d.R. sowieso viel zu doof, ich nutze es meist
gerade mal als ein erweitertes ls -R | grep -- aber eben auch mit grep.

 
> Klar, man muß erstmal die manpage lesen, zumindest Teile
> davon. Aber wenn man das einmal getan hat, arbeitet man
> mit dem Tool für alle Zeit effizienter als mit einem GUI.

ich habe doch explizit gesagt, dass Kommandozeilensachen oftmals
effizienter sind, wenn man die entsprechenden Kommandos kennt. Da
brauchen wir gar nicht drüber zu diskutieren ;-)

> Wo wir gerade bei Windows sind: Microsoft hat sich ja
> eigentlich auf die Fahnen geschrieben, ergonomische und
> einfach zu verwendende Software zu schreiben.

das behaupten sie manchmal, aber ich habe oft einen anderen Eindruck. Oft
geht es auch nur um Politik.

> Davon sind
> sie _weit_ entfernt.

ja.

> Nichtmal einfachste Dinge werden
> berücksichtigt, z.B. daß ein Dialog sich an derselben
> Stelle öffnet, an der man ihn zuletzt geschlossen hat,

Da kann man sich trefflich drüber streiten, ob man das wirklich will und
für welche Art von Dialog man das will.

> oder daß ein Scrollbalken persistent bleibt (das konnte
> AmigaOS vor 20 Jahren besser).

persistenter Scrollbalken? Du meist Scrollbalken, deren Größe sich an
den Fensterinhalt anpasst?

Ja, das dies lange beim Mac und bei Windows nicht der Fall war, war für
mich als ATARI-Anwender ein gutes Läster-Kriterium ;-)

> Ich habe mich vor einigen Jahren mal ziemlich intensiv mit
> Borland Delphi beschäftig (den Nachfolger gibt's ja seit
> einiger Zeit auch für Linux). Damit war das Erstellen von
> graphischen Oberflächen wirklich einfach, und man konnte
> sich ganz auf das Design konzentrieren. Ein sinnvolles
> Design zu planen nimmt einem natürlich keine Software ab,
> aber das gleiche gilt auch für Kommandozeilentools, wo man
> sich Gedanken um sinnvolle Optionen, Syntax für Konfigura-
> tionsdateien, Verwendung von Umgebungsvariablen usw. machen
> muß. Ergonomie betrifft jede Software, egal ob Textmodus
> oder GUI.

klar.
Oftmals ist aber auch gar nicht die Tatsache, dass es sich um ein
Kommandozeilenteil handelt das Problem. Sondern das Problem ist der
Zustand, in dem das Ding ausgeliefert wird.

Schlüssel- und Zertifikatgenerierung mit OpenSSH zum Beispiel ist eine
Katastrophe. Ein GUI-Programm könnte es sich schlicht nicht leisten, so
etwas anzubieten: da hätte ich zumindest alle Optionen anklickbar in
einem Fenster und der Entwickler müsste sich schon extrem anstrengen, um
die Sachen so kompliziert zu machen.

Ein positives Beispiel hingegen ist da der sshd bzw. dessen Einbindung:
da muss ich eben nicht erst irgendwelche Schlüssel mit irgendwelchen
kryptischen Befehlen generieren, der macht das im Normalfall von alleine
(oder FreeBSD macht es, kann auch sein).

> Ich behaupte mal, daß so eine Person nicht existiert. Wer
> einen IP-Stack geschrieben hat, wird sich zwangsläufig auch
> mit den IP-Stacks auf anderen Systemen auseinandergesetzt
> haben, und sei es nur um die Interoperabilität zu testen.

das war auch nur ein abstrahiertes Beispiel.
Und man muss auch nicht einen IP-Stack geschrieben haben, um sich
grundlegend mit TCP/IP auszukennen.

Ein anderes Beispiel wäre Ethereal: mit GUI kommt man da relativ fix
zurecht (auch wenn das nicht der Superhit ist). Bei tcpdump braucht man
deutlich mehr konkretes Wissen, um damit mehr zu machen als mal eben auf
alle Pakete zu lauschen.

> > Ein GUI hilft, da kann man deutlich einfacher drin herumsuchen.
>
> Ich kenne die Windows-Dialoge, die mit Netzwerk zu tun
> haben. Darin suchen kann man eigentlich nicht besonders
> gut.

tjanun, ich finde die Windows-Netzwerk-Sachen auch nicht besonders toll.
Gelegentlich muss ich meinem Vater am Telefon erzählen, was er da wo
einstellen soll -- da ich selbst fast nie mit Windows arbeite ist das
dann auch nicht gerade einfach ;-)

> Man kann höchstens ausprobieren, auf alle mögli-
> chen Buttons zu drücken (»erweiterte Einstellungen«), um
> dann zu staunen, wo sich welche Dinge verbergen -- sofern
> sie überhaupt vorhanden sind (such z.B. mal, wo man die
> MTU einstellen kann).

oh, die hatte ich letztens vor mir, als ich hier OpenVPN installiert
habe. Wenn ich mich recht erinnere war die nicht wirklich versteckt.

> Das ist eine höchst ineffiziente
> Arbeitsweise. In der Zeit, wo ich mich durch ein Dutzend
> unbekannte Dialoge kämpfe, habe ich die ifconfig(8)-
> manpage zweimal durchgelesen.

Ein Windows-User würde genau das Gegenteil behaupten.

Aber wir sprechen da ja über die prinzipiellen Sachen und nicht über
das verkorkste Windows :)

Bei OS X zum Beispiel ist das alles einfach und übersichtlich -- und wer
will hat ja immer noch ifconfig ;-)

> Und wie gesagt: Wer ein UNIX-System nutzt und nicht einmal
> die Befehle "man" und "apropos" kennt, dem ist eh nicht zu
> helfen. Der sollte entweder kein UNIX benutzen, oder sich
> von seiner Lernresistenz kurieren lassen.

Ich sprach ja davon, dass man bei einem kommadozeilenbasiertem UI mehr
Wissen benötigt als bei einem grafischen.
Obiges bestätigt dies: man muss eben in den manfiles herumwühlen und
lernen. Überall. Für jeden Furz. apropos ist nicht immer eine Hilfe,
"apropos network" zum Beispiel: da kann man dann lange lesen ;)

> > Für Dich ist es wahrscheinlich einfacher mit der Shell umzugehen
> als mit > einem GUI. Weil Du damit umgehen kannst und entsprechendes
> Vorwissen > hast. Bei anderen Nutzern ist das anders.
>
> Man muß halt lernen.

genau, nichts anderes habe ich gesagt.

> Ob ich in einem GUI in der Online-
> Hilfe lese oder bei einem Kommandozeilentool in der Man-
> page, ergibt keinen substantiellen Unterschied.

bei einem GUI braucht man aber deutlich seltener die Online-Hilfe, weil
man alle Optionen schon im Klartext vor sich stehen hat.

> > > Mal ganz ehrlich: Wer mit einem »Procedere auf der Shell«
> > > überfordert ist und auch nicht bereit ist, es zu lernen,
> > > für den ist ein UNIX-System nicht das richtige.
> >
> > Es gibt Millionen von Nutzern, die nicht bereit sind mit der Shell zu
> > arbeiten und trotzdem ein UNIX-System nutzen: OS X.
>
> Falsch. Diese Leute nutzen kein UNIX-System. Sie nutzen
> eine graphische Oberfläche. Ob darunter ein UNIX-System
> oder irgendwas anderes läuft, ist völlig unerheblich und
> interessiert diese Leute auch nicht.

Es ging mir darum die Behauptung, dass die Benutzung eines Unix-Systems
Fachwissen und Kommandozeile erfordert zu widerlegen. Da kann man sich
natürlich fragen: was IST Unix? Wenn man sagt: Unix ist Kommandozeile:
dann hast Du Recht.

Dann würde obiges Zitat aber auch heißen: "Wer mit einem »Procedere
auf der Shell« überfordert ist und auch nicht bereit ist, es zu lernen,
für den ist ein Kommandozeilen-System nicht das richtige." Dem kann wohl
keiner widersprechen ;-)

> Ich vermute, viele
> wissen es nicht einmal. Die meisten Leute, die OS X ver-
> wenden, tun dies, weil sie einen Mac mit MacOS haben wol-
> len (vielleicht auch, weil sie früher schon ältere MacOS-
> Versionen hatten).

keine Ahnung, ich arbeite zwar mit OS X, kenne mich in der
Apple-Freak-Szene nicht wirklich aus.

Ich stand vor der Wahl:
Holst Du Dir einen neuen Notebook mit Wintel-Technologie? Dann gibt es da
viel Gefrickel, um FreeBSD laufen zu lassen und um anständig arbeiten zu
können. Das Gefrickel mit Windows wollte ich mir auch nicht antun. Also
kam der PowerBook her. Ich habe ein Unix die gesamte Hardware
funktioniert ohne Gefrickel. Das GUI ist brauchbar und ich kann alle
benötigten Anwendungen laufen lassen.
Die Darwinports sind zwar deutlich schlechter als das
FreeBSD-Ports-System (obwohl sie antraten besser zu sein), und daher ist
da manchmal etwas mehr Gefrickel nötig. Aber der Rest läuft eben und
ich kann mich um mein eigenes Gefrickel kümmern ;-)

> Wer sich bewußt ein UNIX-System installiert, hat dagegen
> ganz andere Beweggründe und will es i.allg. auch als sol-
> ches nutzen, bzw. er hat in vielen Fällen gar keine andere
> Wahl, weil das GUI halt nicht allmächtig ist.

Manche wünschen sich aber auch einen vollwertigen Ersatz für Windows.
Im Heim-Bereich für Nicht-Freaks ist das eben nur eingeschränkt drin,
liegt aber letztendlich in den meisten Punkten nur an Kleinigkeiten (wenn
man mal von exotischer Hardware absieht).

Ciao
  Alvar

-- 
** Alvar C.H. Freude, http://alvar.a-blast.org/
** http://www.wen-waehlen.de/
** http://odem.org/
** http://www.assoziations-blaster.de/

To Unsubscribe: send mail to majordomo(at)de.FreeBSD.org
with "unsubscribe de-bsd-questions" in the body of the message
Received on Fri 10 Feb 2006 - 13:17:02 CET

search this site