Re: Spaßfrage des Tages: Das große ß

From: Polytropon <freebsd(at)edvax.de>
Date: Mon, 3 Jul 2017 14:40:49 +0200

On Mon, 3 Jul 2017 16:48:47 +1000 (AEST), Peter Ross wrote:
> Wenn es das große "ß" gibt, wier bekomme ich das auf den Bildschirm? Wird
> es einen neuen iso-4711 characterset geben?

Wer ein großes Eszett propagiert, hat das (normale) Eszett
nicht verstanden. Aber die "Rechtschreibreformer" haben das
Eszett ja nun zum Buchstaben erklärt, und folglich _muß_ es
dann auch einen Großbuchstaben geben. Wir haben also jetzt
27 Buchstaben, komischerweise sind ä, ö und ü, für die es
schon lange Ä, Ö und Ü gibt, nicht zum Buchstaben befördert
worden... sehr inkonsequent, wie die ganzen "Reformen"...

> Die Tastatur kriege ich schon hin. Das macht xmodmap für mich:
> Windowstaste+"s"="ß", Windowstaste+shift+"s" wird mir das große bringen.
> Bin mal gespannt, wie die "offizielle" PC-Lösung in Deutschland aussieht.

Und gespannt, wann sie wieder abgeschafft wird wie die "Majonäse". ;-)

Die Implementierung des typographischen Zeichens "Groß-ß" muß durch
die entsprechende Schriftart erfolgen. Als Codepunkt ist das Zeichen
schon im Unicode enthalten (Unicode 3.0: U+1E9E). Auch einige Schriften,
die älter sind als die "Reformschreiber", kennen bereits das Groß-ß,
vgl. Einband Duden 1960 (15. Auflage, VEB Bibliographisches Institut
Leipzig). Nur hat es _bisher_ keine praktische Bedeutung in der
deutschen Alltags(schrift)sprache.

Nun schauen wir aber mal auf die Tastatur, wo oben rechts eine Taste
ist, die so aussieht:

        +-----+
        | ? |
        | ß \ |
        +-----+

Da sollte über dem ß aber ein Groß-ß sein, kein Fragezeichen - das
sieht ja so aus, als wüßte der Tastaturhersteller nicht, wie ein
Groß-ß aussieht!

Ich verlange also die Abschaffung all solcher Tastaturen und fordere
die Herstellung von Tastaturen mit Groß-ß! Das ist eine Chance für
die Wirtschaft, da ist Wachstum! Und komme mir keiner mit Alt-Gr+ß,
das muß Shift+ß sein, wie alle anderen Großbuchstaben auch! :-)

> Mein Nachname wird mit "ß" geschrieben, das sieht immer wieder wie ein "B"
> aus, und im Großgeschriebenen des Reisepasses wird dann ein "SZ" daraus,
> während ich downunder ein "ss" auf dem Führerschein habe..

Ich hole mal etwas aus:

Die Schreibweise SZ für ß (auch klein: sz) stammt aus der Welt bzw.
der Zeit des Fernschreibens, denn dort waren ß, ä, ö und ü nicht
als Tasten vorhanden, man brauchte also eine Notation, die relativ
verwechslungssicher war und im Bedarfsfall wieder zu ß zurückentwickelt
werden konnte. Da es vergleichsweise wenige Wörter gibt, in denen die
Buchstabenfolge sz vorkommt (und da, wo sie es tut, ist schnell klar,
daß da kein ß gemeint ist sondern wirklich sz), hat man sich für diese
Notation entschieden.

Wenn also "Rosz" geschrieben wird, ist ziemlich klar, daß "Roß" gemeint
ist. (Hinweis: Nach "neuer Rechtschreibung" würde das o hier als "langer
Vokal" gesprochen, während die Schreibweise "Ross" einen "kurzen Vokal"
erfordert - natürlich Unsinn.)

Beispiel: "AUFTRAG: ZAHLEN DER BUSZE UND WEGFAHREN DER BUSSE" -
Auftrag: Zahlen der Buße (da es kein Wort "Busze" gibt: sz -> ß) und
Wegfahren der Busse (bleibt ss).

Hier gilt auch die Regel: Nicht-trennbares ss wird als ß geschrieben.
Das ist logisch: Ros-s? Nein, also Roß. Ris-se? Ja, also nicht Riße.
Oder das-s? Nein, also daß. Stras-se? Nein, Straße. Tras-se? Ja, Trasse.
Das hat mit der Vokallänge nichts zu tun. Besonders schön sieht man
das an der Maß Bier - in Schwaben wird das a kurz gesprochen, man
müßte dort also "Mass" schreiben. Und dann müßte man auch konsequent
sein und die "Kurzer-Vokal-Regel" auf alle Wörter anwenden und somit
Dinge wie wie "Zeugniss", "etwass" oder "Lisste" schreiben... ;-)

Die Ersetzung ß -> ss war schon immer korrekt, denn genau das ist ja
ein Eszett - eine Ligatur von Lang-s und Rund-s. Diese beiden s gibt
es nur bei den Kleinbuchstaben als typographische Unterscheidung, es
sind also nicht "zwei Buchstaben", sondern nur zwei Zeichen für den-
selben (!) Buchstaben, abhängig von der Position im Wort: im Wort
steht Lang-s, am Wortende oder in der Wortfuge steht Rund-s; beim
Gebrauch von Großbuchstaben steht immer S. Beispiele dafür sind die
deutsche Schreibschrift sowie die Fraktur, die aber in der heutigen
Schriftsprache (außer als dekoratives Element) keine Rolle spielen,
da sie von der Normalschrift (Schulausgangsschrift) und der Antiqua
(Serifen- und Groteskschriften) abgelöst wurden.

Beim Gebrauch von Fraktur gilt: "Wenn man's nicht kann, soll man's
lassen!", denn außer Lang-s, Rund-s und Eszett gibt es da noch mehr
Fallstricke durch Ligaturen (z. B. ch, ck, fl, ffl, fi), Trennung,
Sperrschrift usw., die alle nicht trivial sind.

Übrigens gibt es das Prinzip von zwei Zeichen für einen Buchstaben
auch heute (!) in der griechischen Sprache, siehe den Buchstaben
Sigma in großer und kleiner Schreibweise (zwei Zeichen, abhängig
von der Position). Diese Sprache gehort _dringend_ reformiert. :-)

Richtig wäre also bei "Roß" die Schreibweise "Rofs" (f soll hier das
Lang-s sein), wenn kein ß vorhanden ist, d. h. "Ross"; in Großbuchstaben
also "ROSS". Mit der Aussprache hat das alles nichts zu tun, auch wenn
die "Reformschreiber" das Gegenteil behaupten. Will man klarstellen,
daß da wirklich ein ß steht und kein ss (also nicht wörtlich "Ross"),
dann verwendet man als Ersetzung "Rosz" bzw. "ROSZ".

Die Schreibweise mit großem Eszett "ROß" sieht aus wie "ROB", also
"Rob"... ich weiß nicht, ob man das haben will. Teilweise sieht man
das in TV-Untertiteln, wo einfach ein normales ß benutzt wird, z. B.
sowas wie "STRAßENBAHNUNFALL IN BERLIN". Stabenbahn...

> Wie auch immer, ob mir das große "ß" mehr oder weniger prüfende Blicke bei
> Ein- und Ausreisen einbringt, wird die Zukunft entscheiden (und ob man
> denn überhaupt noch fliegen darf und nicht alle "ß"s bei der
> Sicherheitskontrolle abgegeben werden müssen.)

Die Frage ist, ob die Textscanner, die die maschinenlesbaren Textzonen
der Reisedokumente erkennen, sowie die Systeme, die die chipbasierten
oder drahtlos übertragbaren Daten verarbeiten, mit Groß-ß klarkommen
werden. Da der internationale Reiseverkehr ja ziemlich amerikanisiert
ist (Zeichensatz: A bis Z), würde ich die Frage sogar auf unsere Um-
laute ausdehnen. (Wer einen Reisepaß mit Umlaut im Namen hat, kann
dazu vielleicht etwas sagen, mein Name gibt das leider nicht her.)
Forderung: Die ganze Welt hat gefälligst Rücksicht auf die deutschen
"Reformschreiber" zu nehmen, die alle paar Jahre dafür sorgen müssen,
daß die Schulbuchindustrie komplett neue Bücher verkaufen kann, sonst
gingen ja die ganzen Arbeitsplätze verloren... :-)

Man sollte also den sichtbaren Gebrauch von Groß-ß mal in den nächsten
Jahren im Auge behalten. Vielleicht ist es auch nur wieder eine
Alltagsfliege wie so viele andere "Regeln" der "neuen Rechtschreibung"
(korrekt: der "neuen Rechtschreibungen", Plural, denn es gibt mittler-
weile mehrere, von denen man unbehelligt wählen kann) auch, die kaum
ein Mensch vollständig beherrscht.

-- 
Polytropon
Magdeburg, Germany
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Received on Mon 03 Jul 2017 - 14:40:54 CEST

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