Re: oberflaechlich-einfach

From: Peter Much <pmc(at)citylink.dinoex.sub.org>
Date: Mon, 31 Dec 2001 22:14:17 GMT

Hallo Oliver!

<de-bsd-chat(at)DE.FreeBSD.ORG> aka Oliver Fromme schrieb
mit Datum Sun, 30 Dec 2001 16:36:55 +0100 (CET) in m2n.de.fbsd.chat:

!Es könnte daran liegen, daß Computer und das Internet in-
!zwischen nahezu zur Grundausstattung eines Haushalts gehö-
!ren, wie ein Fernseher und ein Telephon. Das Problem da-
!bei ist nur, daß man bei einem Fernseher oder einem Tele-
!phon nicht viel falsch machen kann. Wer eine Rufumleitung
[...]

!Erinnert sich noch jemand an das Internet aus der Zeit vor
!AOL? Man wird oft belächelt, wenn man sagt, früher sei
!alles besser gewesen -- aber es war wirklich so.

Genau, ja. Der Spruch ging ja allgemein rum, von wegen AOL.
Und es schien mir auch so, als waere bis dahin eine Elite
(im positiven Sinn: die Leute die sich in einem Thema
am besten auskennen) im Netz gewesen und hat voneinander
gelernt, und danach wurde es immer flacher. (Und das gar
nicht nur auf Computer-Themen beschraenkt!) Wobei der
Unterschied in Deutschland nicht so deutlich rueberkam:
hier hat man ja oft noch Klimmzuege machen muessen, um
ueberhaupt ans Netz zu kommen, als in USA die AOLer schon
aktiv waren.

Mir ist auch klar: wenn man jedem, der irgendwie erreichbar
ist, eine Zugangs-CD in den Briefkasten stopft, dann kriegt
man ein anderes Niveau als wenn zu 80% Studenten und Wissen-
schaftler vertreten sind und der Rest Leute sind, die sich
engagieren mussten um ans Netz zu kommen, und das taten weil
sie genau das wollten.

Und auf der anderen Seite: als ich so gegen 1987 mit dem
Rechnerschrauben angefangen hab, da war das eine Seltenheit,
vielleicht einmal in paar Monaten, dass man in der Straba
Leute ueber irgendwelche Computerthemen reden gehoert hat.
Heute brauchst du dich nur in Frankfurt unter die Leute
mischen, wenn sie von der Arbeit aus den Banken kommen,
da redet fast jeder ueber irgendwas, was an seinen Rechnern
passiert ist.

Lass mich mal Deinen Gedanken ein bischen ins Philosophische
weiterspinnen. Da ist die Abstraktion: man hat sich inzwischen
daran gewoehnt, eine Technik zu benutzen, bei der man _ueber-
haupt_nicht_ mehr weiss, warum eine bestimmte Aktion eine be-
stimmte Reaktion bewirkt. Bei Fernseher und Telefon weiss man
zwar auch nicht, warum es funktioniert, aber man kennt doch die
Zusammenhaenge: man weiss, dass sich Schallwellen und Bilder
so umwandeln lassen, dass sie ueber elektrische Leitungen
transportiert werden koennen, und dass es unsichtbare Wellen
im "Aether" gibt, ueber die sie auch verschickt werden koennen.
Wenn man jetzt auch nicht weiss, was Tel. und Fernseher genau
tun, dann ist das eben die Blackbox, die diese Signale in die
hoer- und sichtbare Information zurueckverwandeln. Die Details
muss man nicht unbedingt kennen, um den Zusammenhang zu ver-
stehen und einfache Folgerungen ziehen zu koennen: wenn das
Fernsehbild ausfaellt, ist entweder der Sender oder der
Empfaenger kaputt; um das einzugrenzen, probiert man einen
anderen Kanal.
Wenn aber der Computer ausfaellt, dann wird neu installiert,
weil nichtmal der Support imstande ist, Fehler einzugrenzen.

Unser Denken funktioniert ja nun nicht durch Informations-
speicherung wie ein Computer, sondern durch Intensivierung
der Verknuepfungen, eben der Zusammenhaenge (gut sichtbar
bei Eselsbruecken). D.h. wir brauchen die Zusammenhaenge,
um mit irgendetwas umzugehen, und da wo wir sie [novh] nicht
kennen, da schaffen wir uns welche: wir erfinden zB Goetter.
(Fruchtbarkeitsgoettinnen, Wetterdaemonen, Quellnymphen, etc.)

Mich wuerde interessieren, wieviele Leute Mantras rezi-
tieren (oder sonst ein gebetsaehnliches Ritual zumindest
in Gedanken durchfuehren), wenn der Rechner mal nicht das
tut was er soll.

!Leute wie Du und ich (und Jörg, Bernd, Christian, Andreas,
!Greg usw.) sind heutzutage einfach eine Minderheit. Es

Oh, danke.:-))
Ich denke, Ihr spielt da schon noch in einer bischen anderen
Liga als ich - wenn ich mir das bei Euch und einigen anderen
vertretene Knowhow anschaue, dann schlackern mir immer wieder
mal heftig die Ohren.
Andererseits will ich halt auch Generalist sein, mich nicht
nur mit EDV beschaeftigen, und dann kommt man nicht soweit in
die Tiefen.

!gibt kaum noch Leute, die eine Ahnung haben, was unter der
!der Oberfläche ihres Systems vor sich geht. Wenn ich auf
!der Windows-Kiste meines Vaters ein DOS-Fenster aufmache,
!ist das für ihn nicht mehr weit von Zauberei entfernt.
!
!»Any sufficiently advanced technology is indistinguishable
!from magic.« -- Arthur C. Clarke.

Genau. :-)

!Nur scheinen die meisten Leute heutzutage recht anspruchs-
!los zu sein, was das »advanced technology« betrifft. Auch
!Windows XP erfüllt primitivste Anforderungen an Ergonomie
!nicht -- z.B. daß ein Dialog im gleichen Zustand aufgeht,
!in dem er zuletzt geschlossen wurde, oder eine einstellbare
!Tastenbelegung. Aber solche Mängel fallen den meisten Be-
!nutzern gar nicht auf -- sie sind es gewohnt, sich dem Com-
!puter anzupassen. Genauso, wie sie es gewohnt sind, bei
!unbekannten Problemen zu rebooten, oder, wenn das auch beim
!zweiten und dritten Mal nicht geholfen hat, Windows neu zu
!installieren.

Richtig. Die Ursache dafuer scheint mir auch darin zu liegen,
dass sie die Zusammenhaenge nicht kennen: sie koennen so
gar nicht einschaetzen, was machbar waere.

Es geht aber noch in eine andere Richtung weiter, die
weg von der EDV fuehrt: wenn man jemandem die Moeglichkeit
nimmt, Zusammenhaenge zu erfassen und Aha-Erlebnisse zu haben,
dann verbloedet er auf dauer (Kaspar Hauser Effekt, reversibel).
Wenn ich jemanden im erfassen von Zusammenhaengen auf ein
eingegrenztes Spielfeld beschraenke (zB eine GUI), dann wird
er sowas aehnliches wie ein Autist: er lernt zwar neue Zusammen-
haenge, aber ohne Bezug zur restlichen Welt.

Und da frage ich mich dann (und es macht mir Angst), ob
das die Ursache ist fuer das, was hier ansonsten so abgeht
(denn normal scheint mir das nicht mehr): Ein amerikanischer
Revolverheld erklaert eine Vendetta, unsere Minister stellen
fest, dass soetwas uneingeschraenkte Unterstuetzung verdient,
und alle Medien und die ganze Bevoelkerung antworten nur
unisono "Muuh!Muuh!".
Oder: Vitale Dienstleistungen werden zunehmend abstrahiert,
die Quality of Service wird immer katastrophaler, niemand ist
zustaendig. Z.B. BSE, der oeffentliche Nahverkehr, oder die
Altenwirtschaft, d.h. dass man alte Leute fuer horrendes Geld
im Pflegeheim fast verdursten laesst, weil man keine Zeit hat,
ihnen zu trinken zu geben, nur um sie damit zu noch schwereren
Krankheitsfaellen zu machen, an denen man entsprechend mehr
verdienen kann.

Oder: ich fahre in Urlaub und gebe daher bei meiner Post recht-
zeitig einen Lagerungsauftrag ab. Als ich zurueckkomme, ist
meine Post, hm, nirgendwo. Von einem Lagerungsauftrag weiss
niemand etwas. "Nein, wir haben hier keinen Lagerungsauftrag."
"Das kann nicht sein, ich hab ihn persoenlich bei ihnen abge-
geben." "So funktioniert das aber heute nicht mehr. Wenn sie
den Auftrag hier abgeben, dann schicken wir den nach Limburg.
Dort wird er in den Computer eingegeben, und der druckt dann
einen Auftrag fuer uns, dass wir die Post lagern. Offenbar
ist das dann nicht passiert." Zustaendig ist niemand, der
Betroffene soll sich an die Hotline wenden, wo unausgebildete
Hilfskraefte, die erst recht nichts wissen, ihn mit einer
Betroffenheitsbekundung abfertigen.
Oder dieser sogenannte Euro. Oder eben Windoof.

Gesamtstrategie: bei Bedarf Betroffenheitsbekundungen, und
ansonsten feste Werbung machen und erzaehlen, dass alles gut
ist und noch viel besser wird. Und fast alle glaubens?!

All diese Punkte haben auf den ersten Blick nichts miteinander
zu tun. Aber sie aehneln sich in ihrer Struktur so erschreckend.
Nur hab ich eben auch die Schwierigkeit, dass ich zur Subjek-
tivitaet verurteilt bin: ich weiss nicht, ob das vielleicht
schon immer so war.

Aber... Du liest SF? Dann kennst Du DUNE: Butlers Jihad.

!Möglicherweise ist das aber in anderen Wissensbereichen
!ganz genauso. Jemand, der Medizin studiert hat, bekommt
!sicherlich auch das kalte Grausen, wenn er sieht, was in
!der Bevölkerung so alles an Hausmittelchen und Roßkuren
!angewandt wird. Wir sind also sicherlich nicht allein.

Mag sein. Koennte aber auch andersrum sein. Ich erinnere mich
da an einen frischgebackenen Mediziner, der im Netz verkuendete:
"Auch heute noch stirbt man ohne Antibiotika an einer Grippe."
Tja, mein Grossvater (ich hab ihn leider nicht mehr erlebt)
wusste noch, wie man eine Grippe mit Bauch- oder Wadenwickeln
auskuriert. Damals gab es allerdings noch keine Antibiotika,
die gibt es ja erst seit etwa 1945, und seitdem hat man wieviele
hundert neue konstruieren muessen, weil die Erreger halt leider
nach ein paar Jahren resistent gegen die alten sind.
Da erinnern mich die Mediziner auch arg an die Maeuseschubser:
ja, wenn der Patient einen Schnupfen hat, dann druecken wir
diesen Button hier (=Antibiotika), und dann wirds wieder. Aber
Plan davon, wie eine Krankheit mit ihrer Katharsis durchlebt
wird, hat er nimmer.

Natuerlich, so wie es bei den Computerleuten eine kleine Gruppe
gibt, die wissen was sie tun und die improvisieren koennen,
so gibt es sie auch bei den Medizinern: das sind zB die Leute,
die in Entwicklungslaender gehen und dort arbeiten...

!PPPS: Ist doch ganz gut, daß wir die -chat Liste haben.
!;-)

Das is wahr. Ich bin eh fuer off-topics beruechtigt. Ich bin
jetzt auch wieder ruhig. ;-)) (Leider fehlt mir ein Forum,
in der man solche Betrachtungen weiter verfolgen koennte.)

Gruss
Peter

-- 
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                September 11 for world cultural heritage.
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Received on Tue 01 Jan 2002 - 17:26:23 CET

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